Als Zeitzeugen sind geladen:
Annelies Pienig ist Jahrgang 1936 und hat den Krieg als Kind in einer Familie erlebt, die demokratisch eingestellt war. Der Vater war Ingenieur, Lehrer an der Bauhochschule in Beuthen (Oberschlesien) und wurde 1938 aus dem Staatsdienst entlassen. Die Mutter hatte einen großen Freundeskreis, unter ihnen viele Juden. Frau Pienigs Erinnerungen gehen auf das Jahr 1940 zurück, sie war vier Jahre alt. Die Familie wurde evakuiert, der Vater blieb zurück. Der Vater fiel 1944, Annelies, ihre Mutter und Geschwister wurden ausgebombt. Ihre Erinnerungen an den Krieg sind geprägt durch das antinazistische Klima in der Familie und durch die enge Verbindung zu Mitgliedern des Kreisauer Kreises.
Larisa Halilović kam in gleichem Jahr wie die vierte Verfassung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zur Welt, die angeblich die umfangreichste Verfassung aller Staaten war, noch stärkere Föderalisierung des Landes beinhaltete und zwei Provinzen innerhalb Serbiens einen autonomen Status bescherte. Natürlich kam sie zu Welt mit jugoslawischer Staatsbürgerschaft – die eine weltweite Anerkennung und Zukunft versprach.
Sechzehn Jahre danach wird von ihr erwartet, sich ganz neu zu orientieren – selbstverständlich zugunsten mehrerer ganz neuer Verfassungen, die im Einklang mit nationalen und ethnischen Schlüsseln und Ideologien stehen wollen. Es gibt keine Zeit, die damals für sie noch unbekanntennationalistisch geprägten Termini zu analysieren, ihre Bedeutungen zu verstehen und die Wirkungen nachzuvollziehen, die sie auslösen werden. In ihrer Heimatstadt Prijepolje, die sich am Dreiländerdreieck befindet, zwischen Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Serbien, in der Sandzak/Raska Region, kann sie die kommenden Kriege in vielen ihren Facetten erleben: Fassungslosigkeit und Angst, psychologischer Terror des Regimes, Medienkrieg, Flüchtlinge und Verlust der Menschlichkeit und Moral, Bombardierung... Krieg ‘vor der Tür’ und ‘im Lande’ wird Jahre lang ein Teil des Alltags. Frau Halilović will die ‘neuen’ nationalistischen Orientierungen nicht anerkennen, nicht annehmen und auf keinen Fall verstehen. Mit anderen Gleichdenkenden versucht sie gegen das Regime in Serbien und gegen alle anderen religiösen und ethnischen Etikettierungen in Ex–Jugoslawien zu wirken – als Gymnasiastin, als Studentin und am Ende beruflich Hand in Hand mit der internationalen Gemeinschaft im Kosovo.
Die ganze Zeit wird sie von allen ethnischen Gruppen kritisiert und von keiner akzeptiert, weil sie: teilweise Minderheit in Serbien ist, serbische Staatsbürgerin außerhalb Serbien, serbo(kroatische) Muttersprachlerin, ekawischer–Dialekt Sprecherin, Konfessionslose, Andersdenkende, vorbehaltlose Hilfsbereite. Frau Halilović forscht über das Bild von Feindschaft.
Moderation: Bosiljka Schedlich und Sabine Gieschler